2007: "Kleine Helden": Hereinspaziert. Der Zirkus ist ein kleiner, gemütlicher Schaustellerwagen, in dem eine winzige Theaterarena samt Guckkastenbühne eingebaut ist. Und die Artisten? Nun ja, die sind noch winziger ohne Lupe kaum zu sehen. Auch wenn man es als Erwachsener, der weder an die «Frau ohne Unterleib» noch an anderen Schaubudenzauber glauben mag, kaum für möglich hält: Der Zirkus ist echt, und die Flöhe sind es auch.
In München weiß man, das der Flohzirkus echt ist. Dort tritt der Flohzirkus Mathes, der einzige in Westeuropa, seit 1948 auf dem Münchner Oktoberfest auf. Unsere Vorstellung ist proppenvoll - vorne drängen sich die staunenden Kinder, hinten die ungläubigen Erwachsenen. Doch Zirkusdirektor Peter Mathes in seiner bayrischen Jacke und ebensolchem Dialekt schafft es, dass sich bald auch die Großen staunend die Augen reiben. Neun Artisten mit «individuellen Fähigkeiten» stellt er uns vor - das heißt: Artistinnen. Denn männliche Flöhe sind für diesen Zirkus zu klein. Zunächst macht der «Damische», der Dumme, die Runde. Er ist der Beweis, dass es tatsächlich geht, Flöhe an ein vergoldetes Band zu legen; das sei etwa so kompliziert, wie wenn man einen Faden durchs Nadelöhr zieht, sagt Zirkusbesitzer Robert Birk. Dann holt Mathes aus einer Schublade den «starken August» hervor und lässt ihn ein Minikarussell ziehen. Doch bei den Kindern auf die größte Begeisterung stößt Theodor; der schießt einen Gufenkopf-kleinen Ball in ein Streichholzschachtel-grosses Fußballtor - mehrfach. «Und dann haben wir da die Resl aus Wien und die Rosmarie aus Frankfurt», freut sich Mathes, «unsere Ballerinen.» Sie drehen rockartige Papierrondellchen im Kreis. Zum Schluss zieht er aus einer mit Intarsien versehenen Holzschachtel noch vier Flöhe, die vor winzige Kutschen gespannt sind. Die Wagen, die sie ziehen, sind 3000 bis 5000 Mal so schwer wie die zwei Millimeter großen Tierchen selber.
Früher zupfte man die Flöhe von Tieren und Menschen. Heute erhält der Zirkus Mathes die Tierchen von einer großen deutschen Chemiefirma. Die Flöhe arbeiten nicht mehr als fünf bis sechs Tage, dann haben sie genug — genug vom Menschenblut, mit dem sie gefüttert werden, denn das mögen sie nicht so sehr. Dreimal täglich ist Futterzeit. Zirkusmitarbeiter Martin Huber hat uns seinen linken Unterarm gezeigt, an dem sich die Flöhe gütlich tun. Kein schöner Anblick; doch die Kinder vergessen das schnell, sie denken immer noch an den Tore schießenden Theodor.